Wenn Sie heute an dieses Ereignis 2009 zurückdenken, was geht Ihnen durch den Kopf?
Es war natürlich ein absoluter Wendepunkt in meinem Leben. Ich war gerade dabei, sportlich meinen Zenit zu erreichen und reiste sehr hungrig nach Kitzbühel. Ich war topfit. Mein Training war ausgewogen, mein Material perfekt auf mich zugeschnitten, konditionell habe ich nie bessere Leistungen vollbracht, die Stimmung unter uns Athleten war super, im Speziellen in unserem Team. Noch dazu ging es um Kitzbühel. Ich brauche niemandem zu erklären, welche Bedeutung das Rennen für jeden Skirennfahrer hat. Dort einmal zu gewinnen, heißt im Grunde automatisch, Legendenstatus zu erreichen. Aber die Abfahrt lag mir sehr. Denn auch wenn sie großteils technisch nicht sehr anspruchsvoll war, konnte man mit dem einen oder anderen technischen Trick an vielen Stellen das Tempo mitnehmen, Geschwindigkeit aufbauen und den Wettkampf für sich entscheiden – und genau das wollte ich: Ich wollte gewinnen.
Hätten Sie gewonnen?
Darüber habe ich wirklich sehr oft nachgedacht und so ganz losgelassen hat es mich nie. Ich habe mir meine Trainingsfahrten in Kitzbühel später auf Band angesehen und war überrascht, wie flott ich da unterwegs war. Eigentlich war ich bekannt als Athlet, der beim Training eher langsam macht.
Ich erkläre mir das so: Ich wollte sehen, was möglich war, ohne alle meine Geheimnisse zu verraten. Meine Form hatte da einfach einen Höhepunkt erreicht. Das hat sich schon beim Saisonauftakt in Sölden abgezeichnet – dort ging ich zum ersten Mal mit neuem Material auf die Piste und gewann, obwohl ich nicht einmal mein ganzes Können in die Schwünge legte. Um ehrlich zu sein, machte mich diese Lockerheit fast ein bisschen nervös. Gefreut hab ich mich über den Sieg natürlich trotzdem – und war dann umso heißer auf die Streif.
Aber Hahnenkamm ist Hahnenkamm. Glauben Sie, Sie hätten die Leistung auch dort abrufen können?
Ich glaube schon. Es gibt am Hahnenkamm zwei, drei technische Passagen, die perfekt sein müssen, um Tempo in die flacheren Abschnitte mitzunehmen. Bei der Einfahrt in den Steilhang zum Beispiel machen viele den Fehler, etwas zu hoch hinaufzufahren, um danach mehr Richtung zu haben – ich hingegen wusste, dass ich den Radius da eng fahren muss, um nicht langsamer zu werden. Ich nahm mir vor, beim Rennen ganz direkt hineinzuziehen, und musste dann nur schauen, dass es sich bis zur nächsten Kurve ausgeht.
Dann gibt es da noch das Tor kurz vor der Einfahrt in die Zieltraverse. Da fährt man eigentlich etwas runder – das sieht nicht nur gut für die Kameras aus, es fühlt sich auch gut an. Nur Didi Cuche fuhr da sehr direkt und ruppig. Ich hab ihn damals gefragt, warum er das macht, was das eigentlich soll. Und er meinte, dass das eines der wichtigsten Tore ist, das aber keiner sieht, und dass man da frech reinfahren muss, sonst verliert man Zeit. Ich war also nicht nur gut in Form, sondern kannte auch die Strecke sehr gut.
Wie kam es dann zu Ihrem Sturz?
Das war eine Verkettung unglücklicher Umstände. Zuerst einmal hatte ich eine sehr niedrige Startnummer erwischt und die Wetterverhältnisse am besagten Tag waren auch viel schlechter als zuvor. Dann gab es einige Besonderheiten auf der Zielpassage: Die Sprungstelle war in diesem Jahr 10 oder 20 Meter weiter nach hinten versetzt – das war ziemlich mutig. Selbst Didi Cuche, der weiß Gott keine großen Probleme mit Sprüngen hatte, meinte, dass das kaum machbar ist bei dem Tempo. Sie flachten den Absprung also etwas ab – nur brachte mir das nichts: Auf meiner idealen Linie fuhr ich an der Stelle 1 bis 2 Meter weiter rechts, dort war der Absprung nicht abgeflacht. Der Trainer gab uns außerdem den Rat, den Sprung gut zu drücken. Und so geschah es dann: Eine Bodenwelle trieb mich nach oben, der Windschlag richtete meinen Oberkörper auf und bei 140 Kilometern pro Stunde samt Gegenwind wusste ich, dass nichts mehr zu machen war.
Können Sie sich an den Sturz erinnern?
Nein, an den ganzen Tag des Unfalls nicht. Ich hab mir aber nach meiner Entlassung vom Schweizer Fernsehen den Sturz aus allen Perspektiven zusammenschneiden lassen und hab mir das Video wirklich unzählige Male angesehen. Deswegen weiß ich genau, was da passiert ist.
Wie war es, sich selbst stürzen zu sehen?
Ich musste zuerst realisieren, dass ich diese Person auf dem Video bin. Normalerweise ist es so, dass man bei Menschen mitleidet, die man stürzen sieht, vor allem, wenn es Sportsfreunde sind. Bei mir selber habe ich aber rein gar nichts gefühlt. Das ist ein psychischer Selbstschutz, vermute ich.
Ich sehe auf dem Video aber, dass ich in der Luft versuche, den Ski von meinem rechten Bein noch abzustoßen, um ein bisschen Gegenbewegung zu erhalten. Ich schaff es aber nicht und sehe dann, wie ich denke: Jetzt bist du am Arsch. Es würde mich interessieren, wie viele Gedanken mir in dem Moment sonst so durch den Kopf schossen.